NS-Zeitzeuge in der Gesamtschule Kamen
Was es bedeutet, im Nationalsozialismus aufzuwachsen, können immer weniger Zeitzeugen berichten, doch am Donnerstag (17.11.17) erfuhren ca. 100 Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Kamen genau dies aus erster Hand in einer von Pädagogiklehrer Christian Kleine organisierten Veranstaltung.
Die Schülerinnen und Schüler u. a. der Pädagogikkurse, die sich gegen Rassismus und für politische und pädagogische Bildung einsetzen, behandeln zurzeit das Thema „Erziehungsverhältnisse im Nationalsozialismus“. Herr Kleine war daher sehr froh, mit Hans Küsel einen Zeitzeugen eingeladen zu haben, der schon mehrfach die Gesamtschule Kamen besucht hatte.
„Wenn es keine Zeitzeugen mehr geben wird, dann liegt es an uns Lehrern, den Kindern und Jugendlichen glaubwürdig zu vermitteln und sie zu überzeugen, was damals für schreckliche Dinge passierten, um eine Wiederholung zu verhindern“, so Kleine.
Mit dem Verschwinden der Zeitzeugen wachse die Gefahr, dass die Grausamkeiten des Holocaust geleugnet oder in Vergessenheit geraten würden.
Die verschiedenen Oberstufenkurse der Gesamtschule Kamen hörten den Vortrag mit großem Interesse und bekamen im Anschluss die Möglichkeit, weitere – auch persönliche – Fragen an Herrn Küsel zu stellen.
Bei der Machtübertragung auf Hitler im Jahre 1933 war der mittlerweile fast 90-Jährige sechs Jahre alt. Er erlebte den 9. November 1938 in München, wo seine Familie damals lebte. In seinem Stadtteil sei es in der Nacht ruhig gewesen, berichtete er, da dort keine Juden gewohnt hätten. Erst am nächsten Morgen, auf dem Weg zur Schule sei ihm ein Möbelhaus aufgefallen. Die Scheiben seien eingeschlagen und das Wort „Jude“ war an das Haus geschrieben worden. „Wir wussten gar nicht, dass das Geschäft einem Juden gehörte“, erzählte Hans Küsel, dessen Eltern Kunden des Möbelhändlers waren.
Ein Anliegen war es Hans Küsel auch, zu erklären, warum gerade junge Menschen empfänglich waren für die Propaganda des Nationalsozialismus. „Alle hatten Uniformen und wir waren froh, dass wir Uniformen trugen. Denn, und das kennen Jugendliche heute auch, wir wollten aussehen wie alle anderen“, erzählte er. Am stärksten hätten jedoch die Lieder der Nazis gewirkt. „Wir haben sehr viele Lieder gelernt, deren Texte ich bis heute zum Großteil auswendig kann“, berichtete Küsel. „Das ist schleichende Einflussnahme.“
Am Ende schloss er mit einer klaren Botschaft an die Schülerinnen und Schüler unter Bezugnahme auf aktuell zu beobachtende gesellschaftliche und politische Tendenzen: „Wir waren ja nur einseitig informiert von manipulierten Medien. Bitte informiert euch vielseitig und seht zu, dass ihr eine eigene Meinung habt.“
Text: Christian Kleine; Foto: WA/Schwarze