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Schüler wollen wissen, woher der Hass kommt

Bei der Einführungswoche für die Oberstufenschüler der Gesamtschule steht auch die Kamener Stadtgeschichte auf dem Lehrplan. Gemeinsam suchen die Schüler nach Spuren des Krieges und der NS-Vergangenheit. Klaus Dieter Grosch erzählt den neuen Oberstufen-Schülern von der jüdischen Geschichte in Kamen.
Wie kommt es eigentlich zu dem ganzen Hass?“ fragt eine Schülerin und schaut dabei betroffen auf einen der sogenannte Stolpersteine am Markt. Im Zuge der Einführungswoche für die Oberstufe an der Gesamtschule Kamen sind die Elftklässler mit dem Fahrrad unterwegs. Das Thema der Zeitreise lautet „Spuren der NS-Zeit/des Krieges in Kamen“. Die Frage der Schülerin kann auch Klaus Dieter Grosch nicht abschließend beantworten. „Dafür gibt es mehrere Gründe“, meint der stellvertretende Schulleiter. „Vielleicht war es auch das wahrgenommene ‚Fremde’. Den Ursprung hat der Hass auf jeden Fall schon deutlich vor 1933.“ Das Thema an diesem Tag ist die jüdische Geschichte Kamens. Der Marktplatz ist eine von vier Stationen, die die Schüler in fünf Gruppen an diesem Tag mit dem Fahrrad ansteuern. Weitere Stationen sind der jüdische Friedhof in Kamen, das Heerener Schloss und der Heerener Friedhof. Wie weit die jüdische Geschichte zurückreicht, scheint einige Schüler zu überraschen. Denn Stadtrechte bekam Kamen bereits 1243 verliehen. Die erste schriftliche Erwähnung von jüdischen Einwohnern stammt aus dem Jahr 1348. „Viele der jüdischen Bürger hatten also 1933 schon eine deutlich längere Familiengeschichte in Kamen als die christlichen Einwohner“, erklärt der stellvertrende Schulleiter. „Sie waren schon immer ein Teil von Kamen. Als ‚fremd‘ dürften die jüdischen Bürger also eigentlich nicht wahrgenommen worden sein.“  

Vor diesem Hintergrund stellt sich wieder die Frage: Wie konnte es zu dem Hass kommen? Es liege vielleicht an der Stellung der jüdischen Bürger, denn im Mittelalter hätten sie keine Läden besitzen dürfen und mussten von Haus zu Haus ziehen. Dafür hätten sie Geld verleihen dürfen, auch an Fürsten. Die hätten oft ihre Schulden nicht begleichen wollen und warfen den Juden kurzerhand vor, sie hätten den Brunnen vergiftet und Ähnliches. „Auch im Mittelalter und der frühen Neuzeit kam es zu Judenvertreibungen“, so Grosch. Dass das wahrgenommene „Fremde“ als Erklärung allein nicht ausreicht, führt Klaus-Dieter Grosch am Stolperstein von Adolf Wolff auf dem Markt weiter aus. Denn Adolf Wolff sei bestens in das Stadtgeschehen integriert gewesen, jahrelang Mitglied beim DRK. In einem Schuppen in seinem Garten bewahrte er die Gerätschaften der Hilfsorganisation auf. Trotzdem wurde ihm das Verhältnis zu einer Christin zum Verhängnis, ein Mob bedrohte ihn 1935 vor seiner Haustür, die Polizei nahm in daraufhin in „Schutzhaft“. Kurze Zeit später wurde Wolff in ein Konzentrationslager verschleppt und nach einigen Wochen wieder freigelassen. Danach zog er nach Werne, wo er nur ein Jahr später starb, an einem gebrochenen Herzen, wie seine Schwester sich später erinnerte. Anfangs gab es schwere Ausschreitungen zwischen Mitgliedern der SPD und der SA, doch die Nazis brachen den Widerstand. Ab 1933 sei Kamen eine Nazi-Stadt gewesen, so Herr Grosch. Auch die Reichspogromnacht sei hier in voller Härte vollzogen worden. Bei den aktuellen Protesten in Chemnitz erkenne er die gleichen Mechanismen, die auch bei der Reichspogromnacht gewirkt hätten, so der stellvertretende Schulleiter: „Auch in Chemnitz sind Menschen auf eine Minderheit losgegangen, der sie die Verantwortung für die Taten Einzelner zuschieben.“ Anders als in der Diktatur der NS-Zeit würde die Polizei die Angegriffenen aber heute schützen. „Denn heute leben wir in einer Demokratie.“

Quelle: Hellweger Anzeiger